Alimentierte Ausreise oder Entwicklungshilfe?

Rückkehrförderprogramme sollen Ausreisezahlen erhöhen und zu einer Reintegration der Rückkehrenden in den Herkunftsländern beitragen. Sie basieren auf der Kooperation zwischen Ordnungs- und Entwicklungspolitik und stellen gleichzeitig einen Konflikt zwischen beiden Ansätzen dar.

von Valentin Feneberg, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Integrative Research Institute Law & Society der Humboldt-Universität zu Berlin.

In Folge des „langen Sommers der Migration“ 2015 setzte sich in der deutschen Migrationspolitik die Ansicht durch, dass Abschiebungen von Geflüchteten in ihre Herkunftsstaaten um Maßnahmen der „geförderten Rückkehr“ ergänzt werden müssen, um das ordnungspolitische Ziel einer Erhöhung der Ausreisezahlen zu erreichen. Von offizieller Seite etwas irreführend, aber diskursiv erfolgreich „freiwillige Rückkehr“ genannt, handelt es sich um eine assistierte bzw. alimentierte Ausreise: Durch eine finanzielle Förderung der Reisekosten in Verbindung mit einer Starthilfe werden Anreize gesetzt, dass Menschen Deutschland verlassen, bevor sie zwangsweise zurückgeführt werden

Zweckehe von Ordnungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit

Diese Maßnahmen sind keineswegs neu: Das bis heute wichtigste Rückkehrförderprogramm REAG/GARP wurde bereits 1979 ins Leben gerufen, auch die Strukturen der Rückkehrberatung durch staatliche und nicht-staatliche Akteur:innen in den Bundesländern existieren in größerem Umfang bereits seit den 1990er Jahren. Die wohl bedeutendste politische Neuerung war deshalb nicht der Fokus auf der alimentierten Ausreise als solcher, sondern die Erkenntnis, dass darüber hinaus die Reintegration der Rückkehrenden in ihren Herkunftsländern eine größere Rolle spielen müsse. Das strukturell sichtbarste Ergebnis dieser Einsicht ist die „gemeinsame Rückkehrinitiative“ von Innen- und Entwicklungspolitik und damit die Zusammenarbeit der Bundesministerien des Innern und für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMI und BMZ).

Dieser „ressortkohärente Ansatz“ ergänzt damit den Ausreisefokus der Innenpolitik um die Reintegration der Betroffenen, die mithilfe von Entwicklungszusammenarbeit gelingen soll. Die zentrale Maßnahme dieser neuen Verbindung ist das Programm „Perspektive Heimat“, das seit 2017 von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) umgesetzt wird. Für das Programm stehen von 2017 bis 2021 insgesamt rund 606 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung. Derzeit ist eine Laufzeit bis 2023 vorgesehen. Trotz der Bewertung des Programms als „ein Stück Gesamtphilosophie“ deutscher Entwicklungszusammenarbeit bedeutete die Hinwendung zum Thema Rückkehrmigration von Geflüchteten zugleich einen Paradigmenwechsel für die GIZ. Zwar wurde durch das Unternehmen bereits 2006 ein Sektorvorhaben „Migration und Entwicklung“ ins Leben gerufen, damals allerdings ohne Rückkehrbezug. Heute steht die Arbeit der GIZ mehr und mehr im Dienste einer restriktiven Migrationspolitik.

Auf operativer Ebene wird „Perspektive Heimat“ erstens im Zuge einer „Deutschland-Komponente“ umgesetzt, in der etwa das Thema Reintegration im Rückkehrberatungsprozess gestärkt werden soll: „Reintegrationsscouts“ der GIZ unterstützen Beratungsstellen in Deutschland mit internationaler Expertise und Kontakten in die Herkunftsländer. Darüber hinaus delegiert die GIZ „reintegrationsvorbereitende Maßnahmen“ an private und zivilgesellschaftliche Träger zur beruflichen Qualifizierung von potentiellen Rückkehrer:innen.

Zweitens setzt die GIZ Reintegrationsmaßnahmen in 13 ausgewählten Herkunftsländern um. Dazu wurden bestehende lokale Programme der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit für die Zielgruppe der Rückkehrer:innen geöffnet sowie „Migrationsberatungszentren“ gegründet. Sie sollen nicht nur die Reintegration von Zurückgekehrten betreuen, sondern auch die lokale Bevölkerung über Beschäftigungsmöglichkeiten in den jeweiligen Herkunftsländern informieren, um „irreguläre“ Migration zu reduzieren sowie über mögliche Wege der legalen Migration nach Deutschland aufklären.

Abgelehnte Asylsuchende als Zielgruppe

Die offizielle Zielgruppe der Rückkehrförderprogramme in Deutschland sind abgelehnte Asylsuchende. Das Credo lautet, dass das Asylsystem nur funktioniere, wenn die, deren Antrag auf Schutz abgelehnt wurde, das Land wieder verlassen. Fälschlicherweise wird die Zahl abgelehnter Asylsuchender immer wieder mit der Gesamtzahl der Ausreisepflichtigen gleichgesetzt. Auch das BMZ legitimiert mit dieser falschen Angabe das Programm „Perspektive Heimat“, wenn es in einem Positionspapier 2019 schreibt, alle Ausreisepflichtigen seien abgelehnte Asylsuchende. Zum Stichtag 31. Dezember 2020 waren nur rund 65 Prozent der 280.000 Ausreisepflichtigen abgelehnte Asylsuchende, von denen wiederum der überwiegende Anteil eine sogenannte Duldung besitzt. Das bedeutet, dass eine Abschiebung vorübergehend ausgesetzt wird, etwa weil eine Person nicht reisefähig ist, weil kein Pass vorliegt oder weil in das Land derzeit aufgrund der Sicherheitslage grundsätzlich nicht abgeschoben wird. Nur etwa 20.000 abgelehnte Asylsuchende sind nicht im Besitz einer Duldung.

Dass wiederum vor allem abgelehnte Asylsuchende das Programm in Anspruch nehmen, ist mit Blick auf die Förderstatistik falsch. Seit 2016 waren etwa ein Drittel derjenigen, die mit einer Rückkehrförderung Deutschland verlassen haben, Personen, über deren Asylantrag noch gar nicht entschieden wurde. Da unter die anderen zwei Drittel auch diejenigen fallen, die zwar ein Asylbegehren geäußert, aber noch keinen Asylantrag gestellt haben, dürfte der Anteil noch höher liegen. Diese Beobachtung zeigt, dass die Strategie, Menschen noch vor dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens durch Anreize zur Ausreise zu bewegen, aufgeht. In der Praxis wird das etwa mit der Information zu Rückkehr bereits im Rahmen der Asylantragsstellung umgesetzt sowie durch die Zusage einer finanziellen Prämie im Rahmen der Rückkehrförderung, wenn der Asylantrag zurückgezogen wird.

Rückwirkung auf Asylverfahren und Abschiebungen

Dass Rückkehrförderprogramme wie REAG/GARP und „Perspektive Heimat“ auch konkrete Effekte für den Ausgang von Asylverfahren haben, zeigt eine jüngere Entwicklung der deutschen Rechtsprechung: Seit 2017 verweisen die Verwaltungsgerichte zunehmend auf die Programme, in erster Linie in Entscheidungen, in denen ein Schutzanspruch abgelehnt wird. Vor allem REAG/GARP wird beispielweise in der jüngeren Afghanistan-Rechtsprechung als Teil der Begründung aufgeführt, warum eine Rückkehr keine humanitäre Notlage zur Folge habe und deshalb auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG gelte.

Es wird argumentiert, dass Personen nach der Ablehnung diese Maßnahmen in Anspruch nehmen und so einer Abschiebung ohne jede Unterstützung entgegenwirken können. Die Rückkehrhilfen ermöglichten damit „ein Leben am Rande des Existenzminimums“. Programme für eine Rückkehr nach dem Asylverfahren werden damit bereits in diesem Verfahren zur entscheidungserheblichen Tatsache. Gerichte, die sich hingegen kritischer mit der Umsetzung der Programme auseinandersetzen (jüngst etwa der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg) kommen zu dem Schluss, dass diese keineswegs einen Schutz vor existentiellen Notlagen begründen.

Entgegen dem politischen Anspruch an die Maßnahmen geht außerdem kaum ein Gericht davon aus, dass diese tatsächlich eine Reintegration über die ersten Monate der Rückkehr hinaus ermöglichen. Für eine Abschiebungsentscheidung genügt es den Gerichten allerdings, die Maßnahmen als Überbrückungshilfen zu betrachten.

Die Notwendigkeit der Evaluation

Dass Rückkehrpolitik in erster Linie ein restriktives Instrument der Asylverwaltung ist, führt zu einer gewissen Grundspannung in der Kooperation einer Innenpolitik, der die Ausreise von Geflüchteten gar nicht früh und schnell genug gehen kann, mit einer Entwicklungspolitik, die auch aufgrund von Reputationsrisiken darauf angewiesen ist, die Freiwilligkeit der Ausreisen in den Vordergrund zu rücken. Letztere versucht immer wieder, diese Spannung mit Pragmatismus zu lockern und verweist auf den „konkreten Bedarf bei der Wiedereingliederung“ ins Herkunftsland auch dann, wenn die Rückkehr „widerwillig-freiwillig“ geschieht.

Nimmt man diesen Pragmatismus beim Wort, drängt sich die Frage auf, wie es um den Erfolg von „Perspektive Heimat“ bestellt ist. Eine umfangreiche externe Evaluation ist allerdings nicht in Sicht. Die wenigen öffentlich verfügbaren Informationen beschränken sich auf die Nennung einiger Kennzahlen auf der BMZ- und GIZ-Homepage sowie deren dünne Erläuterung in Antworten auf parlamentarische Anfragen. Es hat fast den Anschein, als würde den verantwortlichen Akteur:innen die Zurschaustellung klavierunterlegter Imagefilme mit erfolgreichen Rückkehrgeschichten (ein schon lange beliebtes Genre nationaler und internationaler Rückkehrpolitik) als Evaluationsersatz ausreichen.

Die genannten quantitativen Angaben haben das Ziel, den Programmerfolg anhand einiger weniger statistischer Kennzahlen nach außen zu kommunizieren: So habe es bislang etwa 800.000 „individuelle Fördermaßnahmen“ gegeben, was jede Aktion vom Beratungsgespräch bis zur Jobvermittlung umfasst; etwa 250.000 Menschen hätten im Rahmen des Programms einen Job gefunden oder seien bei der Existenzgründung unterstützt worden. Man muss diese Angaben nicht in Zweifel ziehen, um ihre Aussagekraft zu kritisieren. Denn genauere Informationen etwa über die Art der vermittelten Beschäftigung oder deren Nachhaltigkeit liefern die Zahlen nicht.

Der nur geringe Anteil an Rückkehrer:innen aus Deutschland an diesen Maßnahmen und die Tatsache, dass keine Informationen dazu erhoben werden, wie viele Menschen in den „Migrationsberatungszentren“ tatsächlich über legale Migrationswege nach Deutschland beraten werden (offiziell eine Kernaufgabe der Zentren), zeigen, dass BMZ und GIZ in der Praxis vor allem die entwicklungspolitische Seite von „Perspektive Heimat“  in den Vordergrund rücken. Dennoch wäre es wichtig, das Programm auch als Teil der deutschen Rückkehrpolitik zu evaluieren.

Um eine kritische Würdigung zu ermöglichen und damit die Glaubwürdigkeit einer solchen Evaluation zu stärken, sollte diese von externen Akteur:innen durchgeführt werden. Dahingehende Offenheit haben GIZ und BMZ jüngst mit einer Analyse der Zielgruppe von „Perspektive Heimat“ gezeigt. Was die konkrete Reintegration angeht wäre es wichtig, dabei lokale wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteur:innen zu beteiligen, die die notwendige Expertise mitbringen.

Eine solche Evaluation sollte auch den Zusammenhang mit den Rückkehrprogrammen des BMI in den Blick nehmen. Dass etwa die erste große Evaluation der BMI-Maßnahme „StarthilfePlus“ den Zusammenhang mit „Perspektiven Heimat“ weder empirisch noch konzeptionell analysiert, wird dem ressortkohärenten Ansatz nicht gerecht. Es wäre sinnvoll, diesen Ansatz nicht nur zu beschwören, sondern auch zu evaluieren, ob er in der Praxis wirkt (und was „wirken“ genau bedeutet). Um „Perspektive Heimat“ außerdem im breiteren migrationspolitischen Kontext zu verorten, sollte ernsthaft untersucht werden, wie die Beratungszentren in den Herkunftsstaaten die Migration nach Deutschland tatsächlich fördern können, insbesondere in Zusammenhang mit dem am 1. März 2020 in Kraft getretenen Fachkräfteeinwanderungsgesetz.

Eigenverantwortung first

Anstatt den hohen Anspruch von „Perspektive Heimat“, „allen Rückkehrenden aus Deutschland ein Jobangebot im Herkunftsland“ zu machen, an der Realität zu messen, verweist die Bundesregierung darauf, dass es letztlich in der Eigenverantwortung der Rückkehrenden liege, Förderangebote wahrzunehmen. Diese Verantwortung der Betroffenen wird also nicht nur durch das Mantra der „Freiwilligkeit“ auf Ebene der Rückkehrentscheidung betont. Auch für den Erfolg der Programme nach der Rückkehr werden größtenteils die Menschen selbst verantwortlich gemacht. Diese Muster findet sich auch in der oben genannten Rechtsprechung, wenn Gerichte darauf verweisen, es läge an den Asylsuchenden, die Inanspruchnahme der Maßnahmen als Möglichkeit zu begreifen, eine Verelendung nach der Rückkehr zu verhindern.

Mit der Betonung von Freiwilligkeit und Eigenverantwortung der Betroffenen kann zugleich der tatsächliche Mangel an Kohärenz in der ressortübergreifenden Zusammenarbeit von Innen- und Entwicklungspolitik verschleiert werden. In der Praxis steht die ordnungspolitische Priorität einer Erhöhung der Ausreisezahlen noch immer an erster Stelle und damit in Konflikt mit dem strukturbildenden Anspruch der Entwicklungszusammenarbeit.

„Nachdem sie widrigen Lebensumständen entkommen sind und gefährliche Fluchtrouten überstanden haben, erleben viele Geflüchtete in Deutschland gezielte Nicht-Integration in Form von verweigerter Familienzusammenführung, Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften und Ausschluss von Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeit. Das macht mürbe. Ihnen in einer solch hoffnungslosen Situation eine ‚freiwillige Rückkehr vorzuschlagen, ist ein unmoralisches Angebot.“

Ramona Lenz ist Referentin für Flucht und Migration bei medico international.

„Viele Asylsuchende sind vom Überwinden riesiger Mauern und Blockaden traumatisiert. Sie aufzufordern, freiwillig zurückzukehren, kurz nachdem ihnen Schutz verweigert worden ist, missachtet das grundlegende Bedürfnis nach Sicherheit und all die Kämpfe, die diese Menschen hinter sich haben, um eben diese Sicherheit zu finden.“

Tejan Lamboi ist Mitbegründer des Network of Ex-Asylum Seekers in Sierra Leone und leitet das Projekt Stark gegen Diskriminierung und Gewalt beim Bund für Soziale Verteidigung, Minden.