IRAK
Zukunft? Erst einmal überleben
Hussein al-Māwardī: Irak – Deutschland – irgendwo versteckt
Manche Geschichten sind schwer aufzuschreiben. Weil die Erinnerungen bruchstückhaft sind oder weil die Erlebnisse die Persönlichkeit selbst fragmentieren. Die Geschichte von Hussein al-Māwardī* ist eine davon.
Er ist Anfang 30, verheiratet und hat zwei Kinder. Er lebt jedoch getrennt von seiner Familie, irgendwo in der Wüste im Irak, wo er als einfacher Arbeiter einen mageren Lohn verdient. Früher hat er in Bagdad gelebt, doch das war vor seiner Flucht. Jetzt muss er sich verstecken. Er muss aufpassen und so erzählt er auch, vorsichtig, leise und mit vielen Andeutungen.
Asyl nein, Duldung ja
2015 flieht Hussein aus dem Irak. Sein Schwager, ein Schiit, der ihm, einem Sunniten, nicht wohlgesonnen war, hatte ihn mit dem Tode bedroht. Nachdem Hussein sich geweigert hatte, für die regierungstreue Partei, bei der sein Schwager eine wichtige Person ist, auf die Straße zu gehen, schlugen ihn Untergebene seines Schwagers zusammen und forderten ihn auf, sich von seiner Frau und den gemeinsamen Kindern zu trennen. Aus Angst um sein Leben macht sich Hussein auf den Weg nach Europa.
Über das Mittelmeer nach Griechenland, von da an die meiste Zeit zu Fuß, gelangt er bis nach Deutschland und stellt einen Asylantrag. 2017 wird sein Asylantrag abgelehnt und er erhält eine Duldung. Damit kann er zwar nicht in den Irak abgeschoben werden und ist dadurch fürs Erste in Sicherheit. Als Geduldeter hat er aber kein Recht auf Familienzusammenführung. Es gibt also keine legale Möglichkeit für ihn, seine Frau und seine Kinder nach Deutschland zu holen.
Zurück, aber versteckt
2018 muss Hussein zurück in den Irak, enge Angehörige hatten einen schweren Unfall. Schon als er seines Asylantrags gestellt hatte, war er über die Möglichkeit einer „freiwilligen“ Rückkehr informiert worden und so kontaktiert er ein Beratungszentrum. Er ist froh, dass ihm durch das Programm der Flug gezahlt und Unterstützung beim Wiedereinleben versprochen wird. Schon bald reist er in den Irak zurück, nicht weil er will, sondern weil er muss, wie er sagt. Um niemanden zu gefährden, lebt er getrennt von seiner Familie und hält sich bedeckt.
Von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) bekommt er 1.600 US-Dollar Starthilfe, die er allerdings vorstrecken muss und nur für Wohnungseinrichtung ausgeben darf. Er kauft sich einen Kühlschrank und ist dankbar, auch wenn ihm in Deutschland mehr Unterstützung versprochen worden war. Doch was er vor allem benötigt, kann ihm keine Reintegrationsmaßnahme bieten, denn das sind Schutz und persönliche Sicherheit. Was ihm helfen würde, wäre eine legale Möglichkeit, mit seiner Familie nach Deutschland zurückzukehren. Doch das ist im deutschen Einwanderungssystem nicht vorgesehen.
Keine leere Drohung
Ende 2019 kommt es im Irak zu Aufständen gegen Korruption und Klientelismus, in dessen Folge die Regierung zurücktreten muss. Auch Hussein geht auf die Straße und protestiert. Er wird von der Polizei festgenommen und fotografiert. So erfährt sein Schwager, dass er wieder im Land ist und lässt ihn auf eine Todesliste setzen. Hussein entscheidet sich unterzutauchen. Doch als seine Mutter schwer erkrankt, fährt Hussein sie besuchen. Er wird erkannt und von hinten niedergeschossen. Hussein überlebt schwer verletzt und liegt lange im Krankenhaus.
Nach seiner Entlassung zieht er sich wieder aufs Land zurück und hofft, dass ihn dort niemand findet. Gäbe es einen sicheren Weg, würde er sofort mit seiner Familie irgendwo anders ein neues Leben anfangen wollen. Die Reintegrationsmaßnahmen haben an seiner Lebenssituation nichts grundlegend verbessert. „Wie auch?“, sagt Hussein. „Damit ich hier leben kann, müsste sich das ganze Land verändern.“
* Namen von der Redaktion geändert.