AFGHANISTAN
Weiter vom Ziel entfernt als je zuvor
Nuri Zhowandai, Samir Rahmani, Ahmed Kohzad: Afghanistan – Deutschland – Afghanistan – ?
Viele der Rückkehrenden kommen nach ihrer Landung in Kabul im Büro von Abdul Ghafoors vorbei. Er leitet die Afghanistan Migrants Advice and Support Organization (AMASO), eine unabhängige Beratungsstelle für Rückkehrer:innen. Nuri Zhowandai, Samir Rahmani, Ahmed Kohzad* waren schon häufiger hier, um darüber zu sprechen, wie es für sie weitergehen kann. Heute sind sie gekommen, um ihre Geschichte zu erzählen und wie es gekommen ist, dass sie wieder in Afghanistan sind.
Anmerkung: Das Treffen mit Nuri Zhowandai, Samir Rahmani, Ahmed Kohzad* fand im Frühjahr 2021, vor dem Einmarsch der Taliban statt. Abdul Ghafoor schaffte es im August 2021 das Land zu verlassen, Kolleg:innen und Freund:innen harren weiter in Kabul aus, die Beratungsstelle gibt es nicht mehr. (August 2021)
Der falsche Schritt
Samir erzählt als erster. Er habe die Einwilligung zur Rückkehr unterschrieben, weil seine Mutter sehr krank war und sich wünschte, ihn um sich haben. Nuri und Ahmed sind zurückgekehrt, weil in Deutschland alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft waren, um einen legalen Aufenthaltsstatus zu erlangen; vergeblich hatten sie gegen ihre Ablehnung geklagt. Heute sind sich alle drei einig, dass sie eine falsche Entscheidung getroffen haben. Samir ist 2016 zurückkehrt. Damals in Deutschland sei er sich nicht bewusst gewesen, wie sehr sich die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert hat. „Es gibt täglich Explosionen und es gibt gezielte Tötungen. Hätte ich das gewusst, hätte ich alles versucht, um in Deutschland bleiben oder in ein anderes europäisches Land gehen zu können. Den Vertrag zur Rückkehr hätte ich auf keinen Fall unterschrieben.“
Mit dem, was er in Deutschland gelernt hat, kann Samir in Kabul nur wenig anfangen. In Deutschland arbeitete er in einer Werkstatt, die Luxusautos repariert: „Die Autos hier in Afghanistan sind zu alt, mit denen kenne ich mich überhaupt nicht aus. Ich habe keine Chance, hier in einer Werkstatt genommen zu werden.“ Auch die anderen sagen, dass sie in Deutschland hauptsächlich mit modernen Maschinen gearbeitet haben. Hier aber werde aber vieles einfach mit den Händen repariert. Ahmed, erst im Februar 2021 zurückkehrt, hat in Deutschland viel über elektronische Musik gelernt und als DJ gearbeitet. Das mache das Leben in Afghanistan für ihn noch gefährlicher. Alle drei versuchen, trotz widriger Umstände Halt und einen Job zu finden. Ahmed erzählt, wie er jeden Tag auf der Suche ist. Samir ergänzt: Es gebe einfach nicht genug bezahlte Arbeit, das halbe Land hungere.
Nuri hat niemanden in Afghanistan, seine Familie lebt im Iran. Seine einzige Hoffnung besteht darin, dorthin zu gelangen. Er hat schon zu lange erfolglos versucht, in Kabul Arbeit zu finden. Auch Ahmed ist allein in Kabul. Würde er mit leeren Taschen zu seiner Familie in der abgelegenen Provinz Ghazni gehen, würde er – da ist er sich sicher – von ihr abgewiesen werden. Zudem kann ihn schon die Tätowierung in seinem Nacken in der Provinz in Gefahr bringen. Bei Samir, der wegen seiner kranken Mutter zurückgekehrt war, ist es anders. Ein Jahr nach seiner Ankunft ist sie verstorben. Jetzt muss er die Verantwortung für seine Geschwister übernehmen und seinem alten Vater helfen.
Unterstützung? Kaum
Keiner der drei hat nach der Rückkehr psychosoziale Unterstützung erhalten. Abdul erklärt: „Während für diejenigen, die zwangsweise nach Afghanistan abgeschoben werden, mehrere Organisationen am Flughafen anwesend sind, ist für ‚freiwillige‘ Rückkehrer oft niemand da.“ Dass dieInternationale Psychosoziale Organisation (IPSO) mit deutschen Reintegrationsprogrammen kooperiert und vor Ort psychosoziale Beratung anbietet, war ihnen nicht gesagt worden. Neben der AMASO haben sie vor Ort keine wirkliche Unterstützung gefunden. Im Rahmen seiner ersten Beratung bei Abdul wurde Nuri an die Internationale Organisation für Migration (IOM) verwiesen. Doch die Frist, um finanzielle Unterstützung beantragen zu können, war bereits abgelaufen.
Ahmed wurde von AWARD, einer von der GIZ finanzierten Organisation, mit Sachleistungen zur Einrichtung seiner Wohnung unterstützt. Doch nur eine Woche später war er gezwungen, alles wieder weit unter Wert zu verkaufen, weil er dringend Geld für Lebensmittel brauchte. Abdul erklärt: „Keine Organisation außer der IOM gibt freiwillig Zurückgekehrten Bargeld, stattdessen erhalten sie Sachleistungen.“ Die Unterstützung durch Sachleistungen gestalte sich kompliziert und, so Ahmed, reiche nicht aus, um existentiellen Probleme zu lösen.
Ob die drei sich wünschen, Afghanistan wieder zu verlassen? Samir sagt, dass er sofort gehen würde, wenn er könnte, doch ihm fehlten die Mittel. Er arbeitet derzeit in einer Druckerei. Damit könne er nicht einmal seine Geschwister ausreichend ernähren, geschweige denn, eine Flucht bezahlen. Ahmed sucht nach Möglichkeiten, in den Iran zu gelangen. Dort würde er schauen, was möglich ist, und dann entscheiden, ob er im Iran bleiben oder zurück nach Europa gehen wolle. Auch Nuri bereitet sich auf die Reise in den Iran zu seiner Familie vor, womöglich aber will er von dort weiter in die Türkei oder nach Europa reisen. Alle drei bedauern ihre Rückkehr nach Afghanistan. Auf der Suche nach Sicherheit und einem Auskommen sind sie von ihrem Ziel weiter entfernt als zuvor.
* Namen von der Redaktion geändert.